Russlanddeutsche Geschichte in der Kontroverse 1986-91
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Kapitel 4. Ausgewählter Briefwechsel

                  
 Der Briefwechsel mit dem einst sehr bekannten Fernsehermoderator Dmitri D. Birjukow könnte als Beispiel für die Rezeption der Belange der deutschen Minderheit von einem nicht unerheblichen Teil der sowjetischen Medien dienen. Er war lange Zeit ein hochrangiger Journalist und politischer Kommentator des zentralen sowjetischen Fernsehens, leitete und moderierte 1986 bis 1991 eine der bekanntesten Sendung “Die Kamera schaut auf die Welt” (Kamera smotrit v mir). Im Rahmen dieser Übertragungen berichtete Birjukow mehrmals über die “Sowjetdeutschen”. Nicht die willkürlichen Beschuldigungen, gesetzwidrige Liquidierung der Wolgadeutschen Republik oder die hartnäckige Weigerung der Sowjetregierung, der umfassenden Diskriminierung der Deutschen ein Ende zu bereiten, bildeten den Schwerpunkt dieser Reportagen. Es handelte sich vor allem um die fluchtartige Auswanderung der Rußlanddeutschen aus dem “Arbeiter- und Bauernstaat”; zusätzlich beschäftigten sie sich ausgiebig mit den Schwierigkeiten der Eingliederung der Aussiedler in die bundesdeutsche Gesellschaft. Dabei mangelte es nicht an Warnungen vor “revanchistischen” Vereinnahmungen seitens der westdeutschen “Rechten und Ewiggestrigen.” Das war der Knackpunkt meiner scharfen Kritik an derartiger Berichterstattung.

Auch in der Sendung vom 18. März 1989 schilderte Birjukow das “schwierige Los” der Aussiedler in Westdeutschland und blendete vollständig den geschichtlicher Hintergrund und die gegenwärtige Situation in der Sowjetunion aus, was mich zu der Niederschrift eines Briefes hinriß, den ich, einer “bewährten” sowjetischen Tradition folgend, an das Parteibüro der Redaktion des zentralen Fernsehens richtete. Überraschend bekam ich von dem Moderator eine Antwort, wo er diese und ähnliche Reportagen rechtfertigte. So entstand unser kurzer Briefwechsel, der vom März 1989 bis Anfang des nächsten Jahres dauerte. Auf die letzten beiden Schreiben bekam ich keine Rückmeldung, und somit ging unser schriftlicher Meinungsaustausch zu Ende.

Diese Korrespondenz bietet manche Einblicke in die Gedankenwelt eines prominenten Moskauer Meinungsmachers, der sich u.a. mit dem “deutschen Problem” beschäftigte. Eine gewisse Prinzipienflexibilität läßt sich u.a. aus solchen Sätzen schließen: “Überhaupt, unserer Briefwechsel, der für mich interessant und hilfreich ist, hat einen prinzipiellen Makel. Solange unsere Briefe hin und her gehen, finden so viele Ereignisse statt, daß sich die Situation grundlegend ändert” (letzter Brief, Anfang 1990). Was den Schluß nahelegt, daß auch die eigene Meinung entsprechend geändert werden muß. Derartige Haltung war typisch für ein nicht unbeträchtlichen Teil der sowjetischen Journalisten und die überwiegende Mehrheit der damaligen Entscheidungsträger.

Auch nach dem Zerfall der Sowjetunion blieb Dmitri Dmitriewitsch politisch und journalistisch aktiv: 1994-96 bekleidete er vorerst den Posten des Pressesekretärs des Vorsitzenden des russischen Parlaments (Staatsduma) und danach avancierte er zum Abteilungsleiter des Mediendienstes der Staatsduma. Später war er Referent (pomoščnik) des Beauftragten des russischen Präsidenten für die Länder der GUS, Iwan Rybkin.

© Viktor Krieger, 2003

 

1. Brief vom 18. März 1989,

2. Brief vom 24. Juni 1989

3. Brief vom 24. November 1989

4. Brief vom 30. März 1990

5. Brief vom 10. Juli 1990